SEEOcta: Business Process Reengineering (BPR) – Ablauforganisation Teil 2
Im SEEBURGER Blog „SEEOocta-Ablauforganisation – Business Process Reengineering (BPR) Teil 1“ haben wir BPR als Form der Neustrukturierung von Geschäftsprozessen mit dem Ziel vorgestellt, um die Effizienz und Flexibilität zu steigern. BPR ist somit ein Instrument, um zukünftig besser auf sich ändernde Kundenanforderungen und Marktveränderungen reagieren zu können. Unternehmen besitzen durch den Einsatz neuer Informations- und Kommunikationsmittel die Möglichkeit, ihre Organisationsstruktur jederzeit zu ändern und sich weiterzuentwickeln. Wie Business Process Reengineering als radikale Methode zur Neustrukturierung einer Organisation angewendet werden kann, skizzieren wir in diesem Beitrag.
Die SEEOcta-Blog-Serie beleuchtet alle Bereiche, die bei der Planung von Digitalisierungs- und Integrationsvorhaben in Unternehmen zum Tragen kommen. Diese Impulse bilden eine Grundlage und einen Leitfaden für Ihre Projektplanung und helfen Ihnen sicherzustellen, dass Sie alle Aspekte bei der Einführung eines IT-Projektes berücksichtigen.
Business Process Reengineering ein kompletter Neubeginn
Business Process Reengineering, konzentriert sich auf folgende vier Kernthemen:
- Orientierung an den kritischen Geschäftsprozessen
- Ausrichtung der kritischen Geschäftsprozesse am Kunden
- Konzentration auf die Kernkompetenzen
- Nutzung modernster Informationstechnologie (IT)
Ziel ist es, mit dieser Methode eine dauerhafte Reduzierung von Kosten sowie eine Beschleunigung der Geschäftsprozesse und Erhöhung der Transparenz zu erreichen. Dies ist jedoch kein leichtes Unterfangen, das ganz nebenbei erledigt werden kann. Business Process Reengineering bedeutet fundamentales Umdenken. Für die organisatorische Restrukturierung ist es unverzichtbar, die Bereitschaft aller Beteiligten im Unternehmen für einen mentalen Wandel zu erhalten. Es geht es nicht nur darum, einzelne Abläufe zu optimieren, sondern einen völligen Neubeginn zu wagen – eine Radikalkur durchzuführen. Dafür ist es für ein Unternehmen notwendig, einen Großteil der traditionellen Vorgehensweisen über Bord zu werfen und sich zu überlegen, welche Abläufe zum aktuellen Zeitpunkt adäquat sind. Der sogenannte „Grüne-Wiese-Ansatz“ stellt die bestehenden Abläufe fundamental in Frage:
- Was tun wir?
- Warum machen wir diese Dinge?
- Weshalb machen wir diese Dinge auf diese Art und Weise?
Die Urheber der Business Process Reengineering-Methode Hammer und Champy verdeutlichen das fundamentale „In-Frage-Stellen“ der aktuellen Situation an einem Beispiel aus dem Bankwesen:[1]
„Eine dort zur Verbesserung des Bankgeschäfts häufig gestellte Frage ist „Wie können wir die Kreditwürdigkeit unserer Kunden wirksamer überprüfen?“. Die Fragestellung beruht auf der breit geteilten Ansicht, die Bonität der Kunden müsse auf jeden Fall überprüft werden, übersieht jedoch, dass die Überprüfungskosten oft die Verluste aus unsichererrn Kreditgeschäften übertreffen. BPR hingegen stellt sich zuerst die Frage nach dem, WAS ein Unternehmen tut, bevor es dazu übergeht, das WIE der Geschäfte zu beleuchten. BPR-gerecht würde man in diesem Beispiel zuerst danach fragen, ob die durchgängige Überprüfung potentieller Kreditkunden überhaupt sinnvoll und notwendig ist.“
Vorgehensmodell von Business Process Reengineering
Die Schlüsselbegriffe „fundamental“, „radikal“, „Verbesserung um Größenordnungen“, „induktuktives Denken“, „Prozessdenken“ und „structure follows process“, die mit Business Process Reengineering assoziiert werden, lassen erahnen, wie tief diese Methode greift. Die Rolle der Prozessorientierung im Gegensatz zur Funktionsorientierung haben wir im ersten Teil dieses Themenblocks behandelt. Sehen wir uns nun genauer an, wie diese Methode funktioniert:
Das Business Process Reengineering läuft im Wesentlichen in vier aufeinanderfolgenden Phasen ab.
Business Process Reengineering Phase 1: Erneuerung (Renewing)
Sobald ein organisationsweites Engagement von allen am Reengineering beteiligten Abteilungen und auf verschiedenen Ebenen sichergestellt ist, muss entschieden werden, wie sich das BPR-Team zusammensetzen soll. Die Teamgröße ist ein wesentlicher Faktor, wenn es um eine effiziente Zusammenarbeit geht. Schon Jeff Bezos empfahl in seiner Zwei-Pizza-Regel, einem Team nur so viele Teilnehmer zuzuordnen, dass diese von zwei Pizzas satt werden können. In konkreten Zahlen bedeutet dies, unter zehn Teammitglieder arbeiten am besten zusammen. Bleibt das Team auf dieser überschaubaren Größe, kann der gesamte Prozess effizient und effektiv ausgeführt werden. Die Mitarbeiter werden so optimal geschult, damit sie mit ihrem neu erlangten Wissen Durchbruchschancen identifizieren und neue Arbeitsschritte oder -prozesse entwerfen können, die für eine Steigerung der Gewinne und Wettbewerbsvorteile sorgen.
Business Process Reengineering Phase 2: Revitalisierung (Revitalizing)
In der zweiten Phase betrachtet das BPR die Geschäftsprozesse. Es wird zunächst eine Ist-Analyse und Dokumentation der bestehenden Prozesse durchgeführt, um Ansatzpunkte für die Reorganisation zu definieren. Im Vordergrund stehen hierbei die Wertschöpfungsprozesse, die in der folgenden Phase optimiert werden sollen.
Business Process Reengineering Phase 3: Einstellungsänderungen (Reframing)
In der dritten Phase des BPR werden die vorherrschenden Denkmuster der Mitarbeiter angepasst, die Firmenphilosophie neu ausgerichtet. Vorherrschende Denkstrukturen und Verhaltensmuster werden überdacht, abgelegt oder zumindest modifiziert. In dieser Phase haben das Management und die Mitarbeiter die Chance, neue Visionen und Vorschläge einzubringen. Für die Mitarbeiter verändern sich die Arbeitsinhalte durch BPR grundlegend. Nicht mehr das Abarbeiten von Aufgaben im Auftrag von Chefs wird ihr Ziel, sondern die Erfüllung von Kundenwünschen in eigener Verantwortung. Dies ist einerseits eine Bereicherung, andererseits aber auch eine Erhöhung des Drucks. Weniger eines abstrakten „Leistungsdrucks“, sondern des Zwangs, die eigenen Fähigkeiten immer mehr zu erweitern.
Alte Sichtweisen werden durch neue ersetzt (Hammer, Champy, S. 103f.)[2]:
Alte Regeln | Neue Regeln |
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Ziel der Veränderung von Denkmustern ist, eine neue Entschlusskraft zu erreichen. In dieser Phase des BPR werden somit neue Methoden und Einstellungen im Unternehmen etabliert und eine Soll-Struktur des Geschäftsprozesses definiert.
Business Process Reengineering Phase 4: Restrukturierung (Restructuring)
Nun gilt es, die Soll-Struktur umzusetzen. Die nachfolgende Abbildung zeigt acht grundlegende Varianten der in der Praxis üblichen Prozessoptimierung[3] kurz angerissen. Eine exakte Betrachtung der individuellen Gegebenheiten vor den Optimierungsbemühungen ist jedoch unerlässlich. Dabei ist es wichtig, auf die Engpassprozesse zu achten, da diese besonders relevant für die Verkürzung der Durchlaufzeiten sind. Die dargestellten Optimierungsansätze bilden einen guten Überblick über grundsätzliche Möglichkeiten, erheben aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Weitere Möglichkeiten wie die Vereinfachung, Vereinheitlichung oder Verbilligung von Prozessen sollten ebenfalls berücksichtigt werden:
Konzept | Skizzierung | Erläuterung |
1. Weglassen |
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2. Auslagern |
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3. Zusammenfassen |
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4. Parallelisieren |
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5. Verlagern |
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6. Beschleunigen |
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7. Keine Schleifen |
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8. Ergänzen |
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Bei all den genannten Prozessen ist es wichtig, die Ziele ständig zu überwachen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.
Die Hierarchie des Business Process Reengineering
Um diese Schritte von Business Process Reengineering erfolgreich umzusetzen, muss jemand die Verantwortung übernehmen, diese Prozesse durchzusetzen und die Mitarbeiter von der Notwendigkeit dieser tiefgreifenden Veränderungen überzeugen. Hierfür muss eine charismatische „Leader-Persönlichkeit“ mit der Aufgabe betraut werden, ein Team von Top-Führungskräften als Prozessverantwortliche zu benennen und sie anschließend bei diesem Vorhaben tatkräftig zu unterstützen.
Von den jeweiligen Prozessverantwortlichen wird ein Reengineering-Team zusammengestellt. Auch sind sie für die Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen verantwortlich und sorgen dafür, dass ihr Team möglichst reibungslos arbeiten kann.
Im Reengineering-Team wird nun von den einzelnen Mitgliedern für die Umsetzung der Prozesse gesorgt. Damit möglichst alle Perspektiven betrachtet werden, setzen sich diese sowohl aus internen Mitarbeitern wie auch aus externen Teilnehmern zusammen.
Eine besondere Rolle kommt dem sogenannten „Reengineering-Zar“ zu. Dieser ist dem Leader direkt unterstellt und koordiniert alle Projekte im Unternehmen. Eine wichtige Funktion dieser Person ist es, die Infrastruktur wie z. B. die IT zur Verfügung zu stellen. Er arbeitet idealerweise auch eng mit dem für die Einführung eines IT-Projektes bestimmten Key User zusammen, auf dessen Aufgaben und Anforderungen des Key Users wir in gesonderten Beiträgen im Detail eingehen und der für die Kommunikation zwischen den Projektteams von besonderer Bedeutung ist.
Vor- und Nachteile von Business Process Reengineering
Inwieweit die Methode des Business Process Reengineering zu einer Organisation passt, ist eine individuelle Grundsatzentscheidung, die jedes Unternehmen für sich selbst treffen muss. Grundsätzlich bietet die Business Process Reengineering zahlreiche Vorteile:
- Kundenorientierung
- Betrachtung der Prozesse als Gesamtheit
- Senkung von Durchlaufzeiten und Kosten bei gleichzeitiger Steigerung der Qualität
- Verringerung von Schnittstellenproblemen, da sich die Organisation von einer funktionalen in eine prozessorientierte Struktur wandelt
- Ganzheitliche Betrachtung des Unternehmens entlang der Wertschöpfungskette inklusive der emotionalen Einstellung der Mitarbeiter
- Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechniken
Neben diesen zahlreichen Vorteilen, sind mit der Durchführung des Business Process Reengineering Ansatzes auch einige Risiken verbunden:
- Gut funktionierende Strukturen müssen eventuell aufgebrochen werden
- BPR führt häufig zu großem Personalabbau
- Es kann zu Widerständen bei den Mitarbeitern kommen
- Die BPR-Methode ist mit einem Hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden
Um den Widerstände der Mitarbeiter entgegen zu wirken, muss insbesondere die oberste Geschäftsleitung die Mitarbeiter bezüglich der laufenden Prozessoptimierung sensibilisieren, indem sie die Bedeutsamkeit dieser für die Zukunft des Unternehmens und somit auch für die Zukunft aller Mitarbeiter aufzeigt. Das Management muss Widerstände reduzieren, indem es ausführlich informiert, kommuniziert, motiviert und Leistungen honoriert. Bei der Umsetzung des Business Process Reengineering Verfahren ist ein unterstützender Change Management Prozess unabdingbar.
Fazit zum Business Process Reengineering
Unternehmen, die in globalen Märkten agieren und mit schnellen Technologiesprüngen konfrontiert sind, müssen sich zügig an sich schnell ändernde Marktbedingungen anpassen können. Damit sie auch zukünftig im Wettbewerb bestehen können, müssen sie in immer kürzeren Zeitabständen neue Produkte, Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse entwickeln. Kundenorientierung wird zur höchsten Priorität und Unternehmen, die ihre funktionalen Organisationsstrukturen zu Gunsten einer kundenorientierten Gestaltung transformieren, haben die größten Erfolgschancen. Traditionell funktionale Organisationsformen stoßen in den heutigen globalen und agilen Märkten oft an ihre Grenzen. Prozessorientierte Organisationsformen bieten hingegen praktikable Antworten auf die neuen Herausforderungen und ermöglichen eine effektive Umsetzung der digitalen Transformation.
Die Einführung einer prozessorientierten Organisation mittels der Business Process Reengineering-Methode bedeutet einen Paradigmenwechsel. Diese organisationale Veränderung ist mit einem ausgereiften Kommunikationsplan und Change Management Prozess zu begleiten. Das Business Process Reengineering ist eine radikale Methode, um Prozesse und Denkmuster des Unternehmens zu verbessern. Es ist ein Prozess, der niemals abgeschlossen wird, denn gerade neu konzipierte Unternehmensprozesse können in einigen Jahren bereits wieder eine Neugestaltung erfordern.
[1] Vgl. Hammer, M., Champy, J. (1994), S. 49.
[2] Business Reengineering: Die Radikalkur für das Unternehmen, Michael Hammer und James Champy, 2003, S. 103
[3] Christian Langmann, Daniel Turi; Buchtitel: „Einführung von RPA im Controlling & Rechnungswesen“; Veröffentlicht 20.Februar 2020.
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Ein Beitrag von: Rolf Holicki
Rolf Holicki, Director Business Unit E-Invoicing, SAP&Web Prozesse, ist verantwortlich für die SAP-/WEB-Applikationen und Digitalisierungsexperte. Er hat mehr als 25 Jahre Erfahrungen in den Bereichen E-Invoicing, SAP, Workflow und Geschäftsprozessautomatisierung. Rolf Holicki ist seit 2005 bei SEEBURGER.