Der 6. Kondratieff – die Digitalisierung?
Trends & Innovationen

Digitale Ökonomie – Ist die Digitalisierung der sechste Kondratieff?

| | Director Business Unit E-Invoicing/SAP&Web Prozesse, SEEBURGER
Digitalisierung der 6. Kondratieff? – Die Theorie der langen Wellen

Die Digitalisierung hat sich in den letzten gut 75 Jahren zu einer unverzichtbaren und nahezu alle Bereiche durchdringenden Technologie entwickelt. Die Erfindung des ersten funktionsfähigen digitalen Computers im Jahre 1941 war der Startschuss für einen intensiven digitalen Entwicklungsprozess. Fabriken, Büros und ganzen Unternehmen wurden digital automatisiert und vernetzt – erst intern, dann überbetrieblich. Heute ist die ganze Welt über Internet, Satelliten und Kabelnetze bis tief in den privaten Bereich hinein digital vernetzt. Aufgrund dieses umfassenden und rasanten Prozesses wird die Digitalisierung häufig als Träger des sechsten Kondratieffzykluses eingestuft. Erfüllt die Digitalisierung hierfür tatsächlich alle Kriterien?

Digitalisierung und digitale Ökonomie im Kontext der Theorie der langen Wellen

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratieff seine Theorie der langen Wellen, mit der er die zyklische Wirtschaftsentwicklung der letzten knapp 250 Jahre beschreibt. Er macht diese Konjunkturwellen an Paradigmenwechseln und damit einhergehenden innovationsinduzierten Investitionen fest und weist für diesen Zeitraum fünf Zyklen empirisch nach. Die jeweiligen Hauptmerkmale der fünf Kondratieffzyklen und ihre Auswirkungen auf Industrie und Gesellschaft sind in Kürze:

Erster Kondratieff (ca. 1780-1850)

  • Frühmechanisierung
  • Übergang der Agrar- in die Industriegesellschaft
  • Einsatz der Dampfmaschine in der Produktion (Textilindustrie)
    • Bekleidung

Zweiter Kondratieff (ca. 1850-1890)

  • Herstellung der Eisenbahn
  • Massenerzeugung von Stahl
  • Entwicklung der Schifffahrt
    • Massentransport

Dritter Kondratieff (ca. 1890-1950)

  • Innovationen in der Elektrotechnologie (Elektromotor, Radio, Telefon, Beleuchtung)
  • neue Produkte in der Chemieindustrie
    • Massenkonsum

Vierter Kondratieff (ca. 1940-1970)

  • Basisinnovationen integrierter Schaltkreis
  • Kernenergie
  • Automobilproduktion
  • Petrochemie
    • Individuelle Mobilität

Der fünfte Kondratieff (ca. 1970 – 2000)

  • Informations- und Kommunikationstechnologie
  • Computerindustrie
    • Information und Kommunikation
Ist Digitalisierung der 6. Kondratieff?
Abbildung 1: Ist Digitalisierung der 6. Kondratieff?[1]

Was macht die fünf Konjunkturzyklen zu Kondratieffs und wie passt Digitalisierung dazu?

Ein Kondratieffzyklus dauert in der Regel zwischen 40 und 60 Jahren und wird jeweils durch umwälzende Erfindungen, sogenannte Basisinnovationen ausgelöst, die komplett neue Märkte öffnen. Diese grundlegenden Innovationen führen von der Textilindustrie in die Zeit des Stahls, von der Entdeckung des Elektrodynamo-Prinzips und den Fortschritten der modernen Chemie zur Industriegesellschaft samt Entwicklung des Massenverkehrs und schließlich zur Informationsgesellschaft, die in den 1950er Jahren ihren Anfang nahm. Unter anderem definieren drei wesentliche Kriterien einen Kondratieffzyklus: ein neuer Markt, Vollbeschäftigung und ein „Lebenszyklus“ von 40 bis 60 Jahren. Wie passen Digitalisierung und digitale Ökonomie in dieses Bild?

Definition Digitale Ökonomie oder Internetökonomie

Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert den Begriff „Internetökonomie“ als eine „vorwiegend digital basierte Ökonomie, welche die computerbasierte Vernetzung nutzt, um Kommunikation, Interaktion und Transaktion in einem globalen Umfeld zu ermöglichen.“[2] Die computerbasierte Vernetzung ist jedoch eine Entwicklung, die während des fünften Kondratieffzyklus bereits ihren Anfang nahm. Der Personal Computer, das Internet, das World Wide Web und die globale Vernetzung wurden alle in diesem Zeitraum entwickelt. Digitalisierung war der Motor und der Träger dieser fünften langen Welle. Bereits zum Ende dieses Zyklus am Ende des 20. Jahrhunderts hatte die digitale Vernetzung alle Ebenen der Gesellschaft durchdrungen. Somit kann Digitalisierung an sich nicht den sechsten Kondratieff stellen.

Die Ausbreitung der Digitalisierung im fünften Kondratieff
Abbildung 2: Die Ausbreitung der Digitalisierung im fünften Kondratieff[3]
Bei der Digitalisierung geht es jedoch nicht nur um den Einsatz von Informationstechnologie zum Management von Daten oder zur Unterstützung der Unternehmensprozesse, sondern um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle in der digitalen Ökonomie. In der digitalen Ökonomie, auch Digitalwirtschaft oder digitale Wirtschaft genannt, werden alte, asset-orientierte Geschäftsmodelle von Konzepten abgelöst, die datengetrieben und auf Vernetzung ausgerichtet sind. Aus analogen Prozessen oder Produkten werden „digitale Zwillinge“ erzeugt. Datenmodelle werden intern und extern entlang der Wertschöpfungskette vernetzt. Diese digitalen Abbilder haben die Eigenschaft von öffentlichen Gütern. Es gibt keine Rivalität im Konsum. Sie können von mehreren Nutzern gleichzeitig und ohne Einschränkung verwendet werden. In einer Grenzbetrachtung sind die Reproduktionskosten dieser digitalen Modelle der Wirklichkeit deshalb fast null. Da auch Vernetzungskosten über das Internet in einem Grenzkalkül sehr niedrig sind, ist eine digitale Ökonomie durch eine „doppelte-Nullgrenzkosten-Eigenschaft“ gekennzeichnet. Das ist der Kern der enormen Wachstumspotenziale von digitalen Ökonomien und der Skalierungsfähigkeit digitaler Geschäftsmodelle. Jedoch macht dies die Digitalisierung noch nicht zu einem komplett neuen Markt, was ja eines der Hauptkriterien für einen Kondratieffzyklus ist.

Auch erfüllt die Digitalisierung das Kriterium „Vollbeschäftigung“ nicht. Im Gegenteil. Durch die Digitalisierung werden Arbeitsplätze eher wegrationalisiert und die durch neues Expertentum geschaffenen Arbeitsplätze gleichen die im Zuge der Digitalisierung verlorengegangene Arbeitsplätze oft nicht aus. Sehen Sie sich im Vergleich dazu die im 18. Jahrhundert jeweils neu entstandenen Arbeitsmöglichkeiten durch die Textilindustrie, später die Stahlindustrie und durch den Eisenbahnbau an. Oder die Arbeitsplätze, die durch die Automobilindustrie und die Computerindustrie im späten 20. Jahrhundert entstanden sind. Die Digitalisierung für sich genommen ist hiermit nicht vergleichbar.

Und zu guter Letzt unterliegt Digitalisierung keinem Lebenszyklus, wie im Kontext der Kondratieffzyklen definiert. Seit Beginn der Digitalisierung sind weit über 40 bis 60 Jahre, die einen klassischen Zyklus ausmachen, vergangen und sie ist noch lange nicht abgeschlossen. Lediglich ein Teilbereich der Digitalisierung, die Informationstechnik und die informationstechnische Industrie, entspricht den Kondratieff-Kriterien für einen Lebenszyklus. Die Informationstechnik wurde als neue Basisinnovation in den Markt eingeführt, hat sich dynamisch ausgebreitet, viele neue Arbeitsplätze geschaffen und eine enorme Wirtschaftskraft entwickelt. Diese jedoch hat mit Ende der fünften langen Welle ihre Leitfunktion für die gesamte Wirtschaft verloren und ihren Schwerpunkt nun auf die Bereitstellung von Informationsdiensten und Informationsmedien verlagert. Nicht mehr die Hersteller der Informationstechnologie, sondern ihre Nutzer wie Google, Facebook, Amazon und Co. bestimmen seither die Fortentwicklung in der Informationswirtschaft.

Wie also lässt sich Digitalisierung in den Kontext der Kondratieffzyklen einordnen?

In seinen „häufig gestellten Fragen zum 6. Kondratieff“ zieht der Wissenschaftler Leo A. Nefiodow einen sehr einleuchtenden Vergleich zur Eisenbahntechnik: „Als alle größeren und mittleren Städte in einem Land mit Eisenbahnen verbunden waren, ging der zweite Kondratieff zu Ende. Die Eisenbahntechnik hatte ihre Leitfunktion für die gesamte Wirtschaft verloren und wurde zu einer ganz normalen Branche.“[4] So verhält es sich auch mit Computern und Digitalisierung. Die Technologie ist erfunden, die Schienen sind verlegt, die Züge fahren. Nun bestimmen die Nutzer (vom Logistikdienstleister bis zum Fahrgast) die weitere Entwicklung. Die Digitalisierung ist zu einer ganz normalen, alle Bereiche des Lebens durchdringenden und unverzichtbaren Branche geworden.

Digitalisierung bietet der digitalen Ökonomie eine Chance, die Kosten zu senken und die Produktivität zu steigern. Strategisch entstehen komplett neue Möglichkeiten für das Wachstum, gerade in den etablierten gesättigten Märkten. Plattformstrategien sind innovative Geschäftsmodelle in der digitalen Ökonomie, welche hohen Wert generieren und zu monopolartigen Strukturen führen. Die flächendeckende Verbreitung von Smartphones, die „always on“-Mentalität und die zunehmende Integration von „Dingen“ in das Internet (IoT – Internet of Things) bilden die Basis für neue digitale Dienste und fördern deren zunehmende Verbreitung. Digitalisierung ist im 21. Jahrhundert und zu Beginn des sechsten Kondratieff nicht mehr wegzudenken und absolut unverzichtbar. Sie stellt jedoch keine technologische Revolution wie die Erfindung des Computers dar, sondern baut darauf auf.

Integrationsplattformen beschleunigen hierbei wirksam den digitalen Transformationsprozess. Denn die größten Herausforderungen bei der digitalen Transformation sind:

  • die vielfältigen Subsysteme der IT miteinander zu verknüpfen,
  • Schnittstellen zu Drittanbietern zu schaffen und
  • zwischen Innovationsprojekten und Legacy-Lösungen eine Brücke zu bauen.

Auf diese Weise wird es möglich, Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen und auszuwerten, Geschäftsprozesse zu beschleunigen oder neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern, Kunden und Partnern zu etablieren und eine digitale Ökonomie zu erschaffen.

Je komplexer die IT im Unternehmen ist, desto schwieriger wird es, ein Entwicklungstempo aufrechtzuerhalten, das den Erfordernissen der digitalen Transformation hin zur digitalen Ökonomie angemessen ist. Eine flexible Integrationsstrategie auf Basis einer entsprechenden Plattform wie sie SEEBURGER bietet, schafft hier Abhilfe.


[1] In Anlehnung an Leo A. Nefiodow, Kondratieff.net, April 2017 Digitalisierung | kondratieff
[2] https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/internetoekonomie-38731/version-262152
[3] In Anlehnung an Leo A. Nefiodow, Kondratieff.net, April 2017 Digitalisierung | kondratieff
[4] Häufig gestellte Fragen zum 6. Kondratieff, Leo A. Nefiodow, April 2017

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Rolf Holicki

Ein Beitrag von:

Rolf Holicki, Director Business Unit E-Invoicing, SAP&Web Prozesse, ist verantwortlich für die SAP-/WEB-Applikationen und Digitalisierungsexperte. Er hat mehr als 25 Jahre Erfahrungen in den Bereichen E-Invoicing, SAP, Workflow und Geschäftsprozessautomatisierung. Rolf Holicki ist seit 2005 bei SEEBURGER.